7.1 Definition

Mit dem Begriff Prozessorientierung [Anmerkung] ist die Wahrnehmung von Geschäftsprozessen, genauer: die Perzeption der Unternehmensrealität als Sammlung miteinander kooperierender Geschäftsprozesse gemeint. Dies betrifft zum einen die im Unternehmen tätigen, von denen heute verlangt wird, in Geschäftsprozessen zu denken, die eigene Tätigkeit im Gesamtzusammenhang des Geschäftsprozesses zu sehen. Zum anderen aber auch alle Optimierungsbemühungen, z.B. von Unternehmensberatungen, die inzwischen i.d.R. ganz selbstverständlich von Geschäftsprozessen als Grundelementen heutiger Unternehmenswirklichkeit ausgehen.

Wesentlich ist dabei der Integrationsgedanke. Vor allem in Hinblick auf die Prozessintegration (auch Vorgangsintegration), worunter Mertens versteht,

Prozessintegration

„..., dass einzelne Prozesse oder Vorgänge miteinander verbunden werden“ [Mertens 1995, S. 1].

Aber auch bezüglich der Daten- und Funktionsintegration sowie der Methoden- und Programmintegration (ebenda).

Daten- und Funktions­integration

Als Ausgangspunkt und Leitlinie wird dabei immer der Kundennutzen genannt:

“Prozessorientierung heißt im wesentlichen, die Bedürfnisse der externen und internen Kunden zu kennen, um diese auf die effizienteste Art und Weise umzusetzen.” [Gaukel und Bardelli 1994, S. 33]

Letztendlich bedeutet eine konsequente Hinwendung zur Prozessorientierung, dass das Unternehmen umgestaltet werden muss, hin zu einer prozessorientierten Aufbauorganisation [Anmerkung] . Einen sehr weitgehenden Vorschlag formulieren Lohoff und Lohoff im Jahr 1994:

Prozessorientierte Aufbauorganisation

„Eine konsequente Prozessorientierung verlangt eine Anpassungund Harmonisierung der Strukturen. Alle Sub-Prozesse einer Wertschöpfungskette sollten organisatorisch unter einem Dach vereinigt werden, sodass funktionale und prozessuale Verantwortung in einer Hand liegen. ... Die prozessorientierte Organisation legt Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung so aus, dass ein Geschäftsvorfall durchgängig von einer Person oder einem Team beherrscht und gesteuert werden kann. Solche Teams betreuen ihren Kunden umfassend. ... Die Mitarbeiter identifizieren sich ganzheitlich mit den Problemen ihrer Kunden .... Sie erhalten größere Verantwortungsbereiche und betreuen diese eigenständig“ [Lohoff und Lohoff 1994, S. 59f].

Wie wir inzwischen wissen wurden diese Ziele in vollem Umfang in kaum einem Unternehmen umgesetzt. Der Prozessgedanke fand aber dennoch Verbreitung und wurde zumindest ein Stück weit umgesetzt. Es ist auch fraglich, ob eine so umfassende Umsetzung sinnvoll wäre (vgl. unten).

7.2 Ziele und Grenzen

Ziele der Prozessorientierung sind, neben den oben angeführten konkreten Zielen der Prozessanalyse:

  • Erhöhung der Kundenzufriedenheit
  • Erhöhung der Lieferantenzufriedenheit
  • Förderung des Prozessdenkens
  • Qualitätsverbesserungen in allen Bereichen
  • Initiierung eines permanenten Verbesserungsprozesses
  • Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit

(vgl. [Lohoff und Lohoff 1994, S. 57)

Eine verstärkte Orientierung an den Geschäftsprozessen löst natürlich nicht alle Probleme. Z.B. gibt sie keine Antwort auf den Zielkonflikt zwischen der Prozess- und der Ressourceneffizienz[12], worauf Kugeler und Vieting hinweisen [Kugeler und Vieting 2000, S. 197].

Grenzen der Prozessorientierung als Methode

Ebenso betrachtet sie erst mal überhaupt nicht die Qualität der im Geschäftsprozess ausgeübten Funktionen.

Ganz allgemein gilt, dass bestimmte Funktionen, die in Geschäftsprozessen benötigt werden, in einem einzelnen Prozess oftmals eine Stelle nicht ausfüllen und auch anderen nicht zugewiesen werden können. In einem solchen Fall müssen die entsprechenden Tätigkeiten von verschiedenen Geschäftsprozessen zusammengenommen werden, um eine Stelle auszufüllen (so auch [Kugeler und Vieting 2000, S. 189]).

Grenzen der prozessorientierten Umgestaltung

Es ist auch keineswegs sicher, dass immer ein Effizienzgewinn eintritt, wenn eine bisher unternehmensweit zusammengefasste Funktion auf einzelne Geschäftsprozesse aufgeteilt wird. Von Sicherheitsaspekten, z.B. bei Beschaffungs- oder Buchungsvorgängen ganz zu schweigen. In der Praxis ist ein Kompromiss aus Prozess- und Funktionsorientierung die optimale Lösung.

Mertens bringt – bei der Betrachtung hoch aggregierter und langer Geschäftsprozesse - diesen Sachverhalt auf den Punkt, wenn er in Bezug auf die Erstellung eines Prozessmodells meint, dass dies überall dort sinnvoll ist,

„... wo logistische Prozesse ablaufen und durch entsprechende Informationsflüsse unterstützt werden. Weniger zweckmäßig ist eine Prozessbetrachtung bei Querschnittsfunktionen wie Personal, Finanzen, Rechnungswesen oder Gebäudeverwaltung.“ [Mertens 1995, S. 25]

Gaukel und Bardelli weisen darauf hin, dass Prozessorientierung nur bei einer ausgeprägten Teamfähigkeit der beteiligten Personen möglich ist [Gaukel und Bardelli 1994, S. 31]. Dies kann zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer verstärkten Prozessorientierung führen, denn nicht jeder Mitarbeiter ist teamfähig und viele Vorgesetzte sind hierarchiebewusst.

Voraussetzungen

Die Orientierung an Prozessen ist nicht so neu, wie manche glauben machen wollen, sondern wurde in der Organisationslehre, im Kontext der Ablauforganisation, schon lange thematisiert, worauf zahlreiche Autoren hinweisen (vgl. z.B. [Franz 1996, S. 210]). Geht es mit diesem Begriff vielleicht nur um „Wissenschaftsmarketing“ [Anmerkung] , handelt es sich nur um alten Wein in neuen Schläuchen (vgl. hierzu [Kieser 1996]) oder geht es tatsächlich um eine neue Sichtweise der Unternehmensrealität?

Neu?

Nun, auch wenn es nicht revolutionär ist, bedeutet ein Vorgehen, bei dem ganze Geschäftsprozesse Ausgangspunkt der Analyse der Unternehmensstrukturen und –abläufe sind, doch eine Überwindung der funktionsorientierten Betrachtung [Anmerkung] , die auf die Analyse der einzelnen zu leistenden Funktionen, ihrer eventuellen DV-Umsetzung und der dabei notwendigen Datenflüsse konzentriert war. Dies wird auch in der Literatur so gesehen (vgl. beispielhaft [Mischak 1997], [Brenner und Hamm 1995, S. 21]). Für Hammer und Champy ist das sogar die wesentliche Botschaft ihres Buches, dass Firmen die „einzelaufgabenorientierten Arbeitsplätze“ überwinden und prozessorientiert organisieren müssen [Hammer und Champy 1995, S. 43].

Revolution?

Für das ja hier immer mitspielende Ziel der Optimierung der Unternehmensabläufe bedeutet dies eine Abwendung von der Optimierung einzelner Funktionen oder der Organisationsstruktur und eine Hinwendung zur Optimierung des gesamten Material- und Informationsflusses, wie es Abts und Mülder formulieren [Abts und Mülder 1998, S. 258].